Rauschen: vom Nichts und vom Alles

Am „Anfang“ war nur Rauschen. Unbestimmtheit, Fluktuation, Undefiniertheit. Es war in keiner Zeit und an keinem Ort, denn beides existierte „noch“ nicht. Es war einfach da, weil schon „Nichts“ als definierter Zustand ebenso unwahrscheinlich ist wie „Etwas“. Eine Grenze hatte es nicht, weil auch die erklärungsbedürftig gewesen wäre, und vielleicht hatte es mehr, sogar weit mehr als unsere vertrauten drei Dimensionen (falls diese Beschreibung, die doch aus unserem Universum stammt, hier überhaupt anwendbar ist).

In einem unendlichen Rauschen tritt jeder mögliche, endliche Zustand zwangsläufig irgendwann auf, sogar unendlich oft. Dazu gehören auch Zustände, Cluster aus Zufallsschwankungen, die als „sinnvoll“ zu interpretieren sind. Manche davon sind selbstbezüglich, enthalten Informationen über sich selbst, vielleicht sogar, für diesen Augenblick ein „Bewusstsein“ ihrer selbst.

Es gibt an dieser Stelle noch immer keinen Grund anzunehmen, dass sie stabiler als andere sein sollten, außer der unerklärlichen Tatsache, dass aus einem Nicht-einmal-Nichts irgendwie die ungeheuer unwahrscheinliche Welt entstanden sein muss, die wir erleben. Vielleicht können die Punkte des Rauschens den Zustand ihrer Nachbarn beeinflussen und damit einer solchen unwahrscheinlichen, aber unvermeidlichen Struktur ermöglichen, sich auszubreiten. Vielleicht ist es auch der Informationsgehalt dieses Keims der Selbstrepräsentation, der dem Rauschen eine Bedeutung und eine neue Dynamik gibt.

Nehmen wir also an, diese unwahrscheinliche und doch unvermeidliche Keimzelle hat sich weiterentwickelt. Ihre Information legte fest, wie ihre Welt beschaffen sein musste, denn sie definierte, welche Naturgesetze ihre Existenz ermöglichten. Aus ihrer inneren Logik folgte die Notwendigkeit von Raum und Zeit, und das eben noch sinnfreie Rauschen wurde in diesem Sinn interpretiert. Aus Rauschen wurde eine Umgebung, eine Gegenwart, eine Welt. Wie ein Kristall breitete sich der neue Sinnzusammenhang aus, schuf Raum, Vergangenheit und Zukunft aus sich selbst und dem unendlichen Rauschen.

Dabei wuchs nicht einfach ein Weg durch die eben erst entstandene Zeit. Denn jeder Punkt aus Sinn hat endlos viele mögliche Zukünfte und zahllose denkbare Vergangenheiten. So wuchs nicht eine Linie, sondern ein Baum mit Zweigen und Wurzeln. Nicht eine Welt, sondern unendlich viele, die sich in diesem Punkt trafen. Und aus jedem Punkt in Raum und Zeit sprießen neue Wege durch Geschichte und noch Kommendes, bilden ein Geflecht aus Möglichkeiten, die manchmal wieder zusammenlaufen, dann wieder unvereinbare Trennungen ergeben.
Irgendwo darin sind wir. Unsere Welt mit Bewusstsein und Sinn wäre dann nicht das Resultat eines unglaublichen Zufalls, sondern eine Notwendigkeit, die sich gerade aus ihrem scheinbaren Ergebnis entwickelt hat. Sie wäre nur eine von unzählbar vielen Welten, die sich aus diesen Grundbedingungen ergeben. Einige überschneiden sich, andere sind unvereinbar. Und daneben existieren Sinnwelten, die zu fremdartig sind, als dass wir sie uns auch nur vorstellen können.

Vielleicht war dieses erste Bewusstsein, dass sich seine Geschichte entwickelt hat, ein längst vergangenes Wesen, ein Tier oder etwas ganz anderes, zu weit weg von unserem eigenen Zweig der Realität. Oder Du könntest es sein, lieber Leser, mit dem ALLES seinen Anfang genommen hat! Es wäre unmöglich zu bemerken. Ebenso denkbar ist, dass dieses Erste von allen in dem, was wir als Zeit empfinden, erst noch geboren werden muss, oder vielleicht konstruiert. Wir wären dann Teil seiner Vorgeschichte, einer rückwärts entwickelten Kausalität, die sein muss, um seinen Sinn zu ermöglichen. Und der Keim neuer Verzweigungen im wachsenden Kristall der Welt-Zeit …

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